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Diskurs

Die Akademie kontextualisiert die Ankündigung des möglichen Austritts Ungarns aus dem IStGH


15. April 2025

© Steven Lek - CC BY-SA 4.0

14. April 2025, von Astrid Walter und Dr. Pablo Gavira Díaz

 

1. Die Ankündigung der ungarischen Regierung, den Internationalen Strafgerichtshof zu verlassen

Am 3. April 2025 verkündete die ungarische Regierung öffentlich, dass sie beabsichtigt, aus dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH oder der Gerichtshof) auszusteigen. In diesem Kommentar sollen die rechtlichen Hintergründe und die Folgen dieser Ankündigung Ungarns eingeordnet werden.

Der Entscheidung der ungarischen Regierung ging ein offizieller Staatsbesuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu voraus. Dieser war nach Ungarn gereist, obwohl ein Haftbefehl des IStGH wegen möglicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen ihn vorliegt. Unmittelbar nachdem der Heftbefehl gegen Netanjahu öffentlich bekanntgegeben worden war, hatte der ungarische Premierminister Viktor Orbán das Vorgehen des Gerichtshofes kritisiert und angekündigt, den israelischen Premierminister zu einem Staatsbesuch nach Ungarn einladen zu wollen. Im Zuge des Treffens mit Netanjahu warf Orbán dem Gerichtshof in einer gemeinsamen Presskonferenz am 3. April 2025 erneut vor, „auf politisch motivierter Grundlage” zu arbeiten. Ungarn werde daher, so Orbán weiter, die notwendigen Schritte einleiten, um aus dem Internationalen Strafgerichtshof auszusteigen. Um diese Bemühungen voranzutreiben und das Austrittsverfahren aus dem Gerichtshof offiziell einzuleiten, ist zunächst eine Entscheidung durch das Parlament erforderlich.

Ungarn ist seit 2001 Vertragsstaat des Römischen Statuts und ist durch diesen Vertrag zur uneingeschränkten Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof bei der Ermittlung und Verfolgung internationaler Kernverbrechen völkerrechtlich verpflichtet. Diese Pflicht zur Zusammenarbeit bezieht sich auch auf die Verhaftung und Überstellung von Verdächtigen an den Gerichtshof. In einem Brief der Präsidentin der Versammlung der Vertragsstaaten des Römischen Statuts vom 31. März 2025 forderte diese die ungarische Regierung auf, ihren Verpflichtungen aus dem Römischen Statut nachzukommen und Netanjahu bei seiner Ankunft in Budapest zu verhaften und an den Gerichtshof zu überstellen.

 

2. Die Bedingungen gemäß dem Römischen Statut für den Austritt aus dem Internationalen Strafgerichtshof

Das Römische Statut ist der völkerrechtliche Vertrag, durch den der Internationale Strafgerichtshof gegründet wurde. Der IStGH ist ein permanenter Gerichtshof, der für die Verfolgung von vier sogenannten internationalen Kernverbrechen verantwortlich ist, namentlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Völkerrechtliche Verträge sind formelle und verbindliche schriftliche Vereinbarungen zwischen souveränen Staaten. Die Staaten können ihren Wunsch, an das Statut gebunden zu sein, durch Ratifizierung, Anerkennung oder Genehmigung zum Ausdruck bringen, und sie können von dem Vertrag zurücktreten. Die Bedinungen für den Rücktritt sind in Artikel 127 des Römischen Statuts geregelt. Nach dieser Vorschrift wird der Rücktritt frühestens ein Jahr nachdem eine entsprechende Notifikation bei dem Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) eingegangen ist wirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der betroffene Staat Vertragspartei und an alle Verpflichtungen gebunden, die sich daraus ergeben. Da eine Entscheidung durch das ungarische Parliament noch aussteht, hat Ungarn bisher keine entsprechende Notifikation bei dem UN-Generalsekrätar hinterlegt.

Sollte der Rücktritt wirksam werden, wäre Ungarn nach Burundi und den Philippinen das dritte Land, das den IStGH verlässt. Burundi informierte den UN-Generalsekretär im Jahr 2016 über seine Entscheidung, sich aus der Statut zurückzuziehen, kurze Zeit nachdem die Chefanklägerin der IStGH Fatou Bensouda entschieden hatte, Voruntersuchungen über mögliche Verbrechen in Burundi einzuleiten. Der Rücktritt wurde am 27. Oktober 2017 rechtswirksam. Eine ähnliche Situation ergab sich, als Chefanklägerin Bensouda im Jahr 2018 Voruntersuchungen auf dem Gebiet der Philippinen bekanntgegeben hatte. Der damalige philippinische Präsident Rodrigo Duterte kündige den Austritt aus dem Gerichtshof an, der am 17. März 2019 rechtskräftig wurde. Dadurch wurden die Philippinen der zweite Vertragsstaat, der den Gerichtshof verließ.

Zudem waren in den letzten Jahren auch erfolglose und abgebrochene Bestrebungen, den IStGH zu verlassen, zu beobachten. So haben Südafrika und Gambia 2016 gegenüber dem UN-Generalsekretär ihren Wunsch, von dem Römischen Statut zurückzutreten, erklärt. Im Februar 2017, bevor der Austritt vollzogen war, verkündete die neu gewählte Regierung Gambias, an der Mitgliedschaft festhalten zu wollen. Die südafrikanische Regierung zog ihre Austrittserklärung vor Eintritt der Wirksamkeit im März 2017 zurück, nachdem das Oberste Gericht Südafrikas die Notifikation für verfassungswidrig befunden hatte. Eine weitere letztlich erfolglose Initiative, die in diesem Zusammenhang zu erwähnen ist, stellt der Aufruf der Afrikanischen Union zum kollektiven Austritt aller afrikanischen Vertragsstaaten aus dem Statut dar. Der Vorstoß ging zurück auf die gemeinsame Einschätzung mehrerer afrikanischer Staats- und Regierungschefs, dass der Gerichtshof nicht nur in unfairer Weise ausschließlich Staatsangehörige afrikanischer Staaten verfolgte, sondern die Souveränität von Staaten als solche untergrabe. Da mehrere afrikanische Staaten der Kampagne kritisch gegenüber standen, und Resolutionen der Afrikanischen Union keine rechtlich bindende Wirkung haben, kam es jedoch nie zur Umsetzung der Resolution.

 

3. Auswirkungen der Erklärung Ungarns, sich aus dem Internationalen Strafgerichtshof zurückziehen zu wollen

Wie dargestellt wurde, sah sich der Gerichtshof bereits in der Vergangenheit mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert, ohne dass sie eine existenzielle Bedrohung für den IStGH dargestellt haben. Auch seine Funktionsfähigkeit wurde von diesen Ereignissen nicht schwerwiegend beschädigt. Zudem hat der Gerichtshof mehrfach festgestellt, dass Vertragsstaaten auch nachdem sie ihren Wunsch auf Rücktritt öffentlich gemacht haben, an ihre vertraglichen Verpflichtungen gebunden sind. Trotzdem ist nicht zu erwarten, dass Verfahren wegen Verstößen gegen das Statut eingeleitet werden. Einige aktuelle Ereignisse verdeutlichen jedoch, dass die Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht endet, wenn Staaten aus dem Vertrag aussteigen. In Reaktion auf die Entscheidung Ungarns hat die Versammlung der Vertragsstaaten klargestellt, dass „ein Vertragsstaat nicht durch Rücktritt von den Verpflichtungen, die sich aus dem Römischen Statut ergeben, entbunden“ wird. Die kürzliche Verhaftung und Überstellung des ehemaligen Präsidenten der Philippinen, Rodrigo Duterte, zeigt die Tragweite dieser Verpflichtungen sehr deutlich auf (siehe dazu den Kommentar der Akademie zur Einordnung der Entwicklungen im Verfahren gegen Rodrigo Duterte vor dem IStGH).

Darüber hinaus bringen die Bestrebungen der Regierung Ungarns zum Ausstieg aus dem IStGH aber eine Abkehr von den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts zum Ausdruck, die in der Charta und dem Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg anerkannt wurden. Für Professor Dr. Christoph Safferling, Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien, bedeuten die Bemühungen um den Austritt zudem, dass Ungarn „nicht nur den IStGH verlässt, sondern auch von den Werten und Überzeugungen der Europäischen Union abweicht.“ 1999 war Ungarn einer der ersten europäischen Staaten, die das Römische Statut unterzeichnet haben, ein Ausdruck seines Engagements im Kampf gegen die Straffreiheit für internationale Verbrechen. Mit seinem Austritt wäre Ungarn das einzige Mitglied der Europäischen Union, dass nicht Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs wäre. Professor Safferling fügte hinzu, dass „die Vertragsstaaten des IStGH betonen sollten, dass das Völkerrecht nicht selektiv angewandt werden darf und dass es dem Gerichtshof möglich sein muss, sein Mandat ohne politische Einmischung zu erfüllen“. (pg/aw)
 

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The Nuremberg Academy contextualises the announcement of Hungary’s possible withdrawal from the ICC
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