18. März 2025, von Kiran Mohandas Menon und Dr. Pablo Gavira Díaz
1. In welchem Zusammenhang stehen der Internationale Strafgerichtshof („IStGH“ oder „Gerichtshof“) und die Philippinen?
Am 15. September 2021 ermächtigte die Vorverfahrenskammer I des IStGH den Ankläger, Ermittlungen zu potenziellen Verbrechen aufzunehmen, die zwischen dem 1. November 2011 und dem 16. März 2019 auf den Philippinen im Rahmen der Kampagne „Krieg gegen Drogen“ begangen worden sein sollen. Hintergrund hierfür waren der Antrag des Anklägers vom 24. Mai 2021 auf Einleitung einer Untersuchung, der am 14. Juni 2021 (damals in einer geschwärzten Fassung) eingereicht wurde, und Stellungnahmen, die von oder im Namen der Opfer abgegeben wurden. Nach Überprüfung der von den Philippinen eingereichten Unterlagen genehmigte die Kammer am 26. Januar 2023 den Antrag des Anklägers auf Wiederaufnahme der Ermittlungen zur Lage der Philippinen. Diese Entscheidung wurde von der Berufungskammer am 18. Juli 2023 bestätigt.
Die Philippinen, die seit dem 1. November 2011 Mitgliedsstaat des Römischen Statuts waren, notifizierten den Gerichtshof am 17. März 2018 über ihren Rücktritt, auf Grundlage eines Beschlusses des ehemaligen Präsidenten Rodrigo Roa Duterte (Herr Duterte). Der Rücktritt wurde am 17. März 2019 wirksam. Der Gerichtshof ist jedoch weiterhin für mutmaßliche Verbrechen zuständig, die zu einem Zeitpunkt begangen wurden, als die Philippinen noch Vertragsstaat waren, d.h. solche im Zeitraum zwischen 1. November 2011 und 16. März 2019. Der Gerichtshof vermerkte, dass der Umfang seiner Untersuchungen auf diesen Zeitraum beschränkt ist, auch wenn Verbrechen möglicherweise nach diesem Datum fortgesetzt wurden.
2. Was wird Herrn Duterte vorgeworfen?
Am 10. Februar 2025 beantragte der Ankläger unter Ausschluss der Öffentlichkeit einen Haftbefehl gegen Herrn Duterte als mutmaßlichen mittelbaren Täter des Verbrechens gegen die Menschlichkeit gem. Art. 25 Abs. 3 a) des Römischen Statuts. Die Verbrechen, die zwischen dem 1. November 2011 und dem 16. März 2019 auf den Philippinen begangen worden sein sollen, umfassen die Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Mord, Folter und Vergewaltigung. Während dieses Zeitraums war Herr Duterte Präsident der Philippinen, Bürgermeister von Davao City und mutmaßlich Anführer des Todesschwadrons von Davao.
Am 7. März 2025 erließ die Vorverfahrenskammer I den versiegelten Haftbefehl gegen Herrn Duterte und stellte fest, dass es hinreichende Gründe zur Annahme gibt, dass er für Mord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, strafrechtlich verantwortlich ist (Art. 7 Abs. 1 a) des Römischen Statuts). Dieses Verbrechen setzt voraus, dass der Täter eine oder mehrere Personen tötet (oder deren Tod verursacht), und dass die Tat im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung begangen wird. Auf Grundlage dieses Haftbefehls wurde Herr Duterte von den philippinischen Behörden verhaftet und am 12. März 2025 in den Gewahrsam des IStGH übergeben.
3. Was sind die nächsten verfahrensrechtlichen Schritte?
Herr Duterte ist am 14. März 2025 erstmals vor der Vorverfahrenskammer I erschienen. In dieser Phase überprüfen die Richter:innen die Identität des Verdächtigen und ermitteln die Sprache, in der er dem Verfahren folgen kann. Außerdem informieren sie den Verdächtigen über die gegen ihn erhobene Anklage, und über seine Rechte nach dem Römischen Statut. Dies sind grundlegende Verfahrensgarantien, um ein faires Strafverfahren zu gewährleisten.
Die mündliche Verhandlung ist der erste Schritt des Verfahrens zur Bestätigung der Anklage vor dem Prozess, dessen Dauer je nach den Umständen des Einzelfalls variieren kann. Der Ablauf dieses Verfahrens ist in Art. 61 des Römischen Statuts geregelt, in dem die vor, während und nach der Verhandlung zu befolgende Schritte im Einzelnen aufgeführt sind. Der Termin für die Anhörung zur Bestätigung der Anklage gegen den Verdächtigen wird bei seinem ersten Erscheinen vor dem Gericht bekannt gegeben. Dieser Termin und etwaige Verschiebungen werden öffentlich bekannt gegeben. Im Verfahren gegen Herrn Duterte hat die Vorverfahrenskammer I die Anhörung für den 23. September 2025 angesetzt. Diese Anhörung ist grundsätzlich öffentlich; jedoch können einige Teile in geschlossenen oder nichtöffentlichen Sitzungen stattfinden, um Zeugen, Opfer oder andere gefährdete Personen sowie die Privatsphäre des Verdächtigen zu schützen.
4. Wird es Streitigkeiten über die Immunität von Herrn Duterte geben?
Es ist allgemein anerkannt, dass das Völkerrecht internationale Gerichtsbarkeiten, die sich mit internationalen Verbrechen befassen, von seiner allgemeinen Immunitätsregelung ausschließt. Hinsichtlich des IStGH wurde diese Position sowohl vom Gerichtshof selbst als auch von anderen nationalen Gerichtsbarkeiten bekräftigt. Beispielhaft hierfür dient der Fall, als Südafrika Omar al-Bashir, den ehemaligen Präsidenten des Sudan, die Ausreise aus seinem Hoheitsgebiet gestattete, und sich dabei unter anderem auf seine Immunität berief. Die Vorverfahrenskammer II stellte in diesem Zusammenhang fest, dass Art. 27 des Römischen Statuts, der amtliche Eigenschaften für die Anwendung des Statuts für irrelevant hält, „umfassend ist und nicht mit der Behauptung vereinbar ist, dass die Immunität von Staatsoberhäuptern vom Statut ausgeschlossen ist“. Der Guateng High Court in Südafrika und der Supreme Court of Appeal of South Africa stellten außerdem fest, dass der Staat sowohl gegen seine innerstaatlichen als auch gegen seine internationalen Verpflichtungen verstoßen hat, indem er nicht mit dem IStGH zusammengearbeitet und Herrn al-Bashir verhaftet hat.
Es ist wahrscheinlich, dass sich auch ein nationales Gericht auf den Philippinen mit dieser Frage befassen wird, zumal die Philippinen im Gegensatz zu Südafrika offiziell aus dem IStGH ausgetreten sind. Doch selbst wenn ein nationales Gericht über die Rechtmäßigkeit der Verhaftung Herrn Dutertes entscheidet, ist der IStGH nicht verpflichtet, auf eine solche Entscheidung eines nationalen Gerichts zu reagieren.
5. Wie könnte sich dieser potenzielle Prozess auf die Situation des IStGH auswirken?
Der IStGH ist für sein Funktionieren von Natur aus auf die Zusammenarbeit der Vertragsstaaten angewiesen. In Teil IX des Römischen Statuts wird ihre Verpflichtung erläutert, den Gerichtshof bei der Untersuchung und Verfolgung von Verbrechen, die seiner Gerichtsbarkeit unterliegen, zu unterstützen. Gegenwärtig steht der IStGH vor noch nie dagewesenen Herausforderungen, sodass die Notwendigkeit einer solchen Zusammenarbeit besonders akut und entscheidend ist. In dieser Hinsicht ist die Verhaftung eines ehemaligen Staatsoberhaupts auf der Grundlage eines Haftbefehls des IStGH sowohl symbolisch als auch folgenreich.
Professor Dr. Christoph Safferling, Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien, bezeichnet diese Entwicklung als „großen Erfolg“ für den Gerichtshof. Er stellt weiter fest, dass die Verhaftung von Herrn Duterte und seine anschließende Überstellung nach Den Haag ein „paradigmatisches und höchst notwendiges Beispiel für die staatliche Zusammenarbeit ist, auf die der IStGH fundamental angewiesen ist, um sein Mandat zu erfüllen.“. Direktor Safferling fügt außerdem hinzu, dass er hofft, dass „die Philippinen bald wieder dem IStGH beitritt“. (pg)