Vom 13. bis 15. Oktober 2022 veranstaltete die Nürnberger Akademie ihr jährliches Nuremberg Forum. Die Konferenz fand im historischen Schwurgerichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes statt.
Die Konferenz wurde sowohl vor Ort als auch virtuell über die Online-Plattform des Nuremberg Forums 2022 abgehalten, wobei einige Moderator:innen und Redner:innen per Zuschaltung teilnahmen. Die Online-Teilnehmer:innen konnten über einen integrierten Online-Q&A- und Abstimmungsdienst interaktiv an der Diskussion mitwirken, über den auch eine Meinungsumfrage zu jedem der sechs Panels durchgeführt wurde. Für das Nuremberg Forum gingen mehr als 508 Online-Anmeldungen ein.
Unter den Teilnehmer:innen befanden sich die ersten beiden Ankläger:innen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), der derzeitige stellvertretende Ankläger, der Kanzler und der Präsident des IStGH, frühere IStGH-Präsidenten, der Präsident der Versammlung der Vertragsstaaten, andere IStGH-Expert:innen, Akademiker:innen, Regierungsvertreter:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft. Viele der Teilnehmer:innen könnten als Mitbegründer:innen des IStGH bezeichnet werden.
Die Konferenz wurde mit Grußworten von Tania von Uslar-Gleichen, der neuen Leiterin des Völkerrechtsreferats der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts, sowie von Dr. Nasser Ahmed, Stadtrat, in Vertretung des Oberbürgermeisters der Stadt Nürnberg, eröffnet. Die Präsidentin des Kuratoriums der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien, Navi Pillay, hielt ebenfalls eine Eröffnungsrede, die aus Südafrika übertragen wurde.
Der liechtensteinische Botschafter Christian Wenaweser, die ehemaligen Ankläger:innen Luis Moreno-Ocampo und Fatou Bensouda sowie die ehem. Direktorin der Women's Initiatives for Gender Justice, Brigid Inder OBE, hielten die Hauptreden zum 20-jährigen Bestehen des Internationalen Strafgerichtshofs.
Ziel der Konferenz war es, über den 20. Jahrestag der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs zu reflektieren. Die Teilnehmer:innen diskutierten, was seit der historischen Gründung des Gerichtshofs im Jahr 2002 erreicht wurde. Nach 20 Jahren werden der IStGH und das umfassendere System des Römischen Statuts als wesentlicher Bestandteil der Beendigung von Gewaltzyklen angesehen. In den verschiedenen Bereichen seiner Arbeit sind jedoch erhebliche Hindernisse aufgetreten. Trotz des Potenzials des IStGH für einen weltweiten Einfluss wird er durch die grundlegenden politischen Bedenken, die mit der Ausübung seiner Befugnisse verbunden sind, häufig eingeschränkt. Es wird immer deutlicher, dass der IStGH auf die Zusammenarbeit der Staaten angewiesen ist, insbesondere wenn es darum geht, Verdächtige ausfindig zu machen und festzunehmen.
Auch die IStGH-Gemeinschaft im weiteren Sinne steht an einem Wendepunkt ihrer Tätigkeit und sieht ihre eigenen Annahmen in Frage gestellt: Wie können sich die Mitglieder der Gemeinschaft am besten gegenseitig unterstützen? Was kann vom IStGH und den Vertragsstaaten des Römischen Statuts vernünftigerweise erwartet werden? Wie können wir alle besser auf die Bedürfnisse der Opfer eingehen und die Rechte der Verteidigung schützen?
In einer Reihe von sechs Panels versuchten die Expert:innen, folgende Frage zu beantworten: Wie sieht die Zukunft des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs aus? Und wie können seine Gründer:innen dazu beitragen, dass die Institution, die sie vor 20 Jahren ins Leben gerufen haben, eine erfolgreiche Zukunft hat?
Die Podiumsdiskussionen befassten sich insbesondere mit folgenden Themen: die wichtigsten Errungenschaften des IStGH; Komplementarität: universelle Bestrebungen versus greifbare Ergebnisse; Zielsetzung: wie abschreckend ist der IStGH in der Realität; die Verflechtung der Justiz über die Verurteilung hinaus: die Erfahrungen von Opfern, Zeug:innen und Angeklagten vor dem IStGH; wessen Öffentlichkeitsarbeit und für wen; und der IStGH in den nächsten fünf, zehn und fünfzehn Jahren.
Die Teilnehmer:innen setzten sich insbesondere mit der ursprünglichen Behauptung auseinander, dass die größte Errungenschaft des IStGH seine bloße Existenz sei, und überlegten, was von der Institution noch erwartet werden solle und welche Form sie in Zukunft annehmen könne. Neben vielen anderen Fragestellungen wurden die folgenden analysiert:
- Was sind die Errungenschaften des IStGH und haben sie dazu beigetragen, dass er in der Praxis effektiv funktioniert? Welches sind die dringendsten Änderungen, die auf der Grundlage der Empfehlungen der Unabhängigen Expert:innenprüfung (IER) erforderlich sind, und wie wurden diese bisher umgesetzt?
- Hat sich das Ziel des IStGH, die Hauptverantwortlichen für die schwersten Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen, als erfolgreich erwiesen?
- Welche Schritte hat der IStGH unternommen, um seine Rolle im Hinblick auf die Komplementarität voranzubringen, und auf welche Hindernisse ist er gestoßen bzw. welche Lösungen wurden geprüft?
- Wo kann eine verstärkte Koordinierung die Komplementarität in der Praxis verbessern und dazu beitragen, den Umfang der Straflosigkeit zu verringern?
- Ist Abschreckung oder Prävention das oberste Ziel? Was hat in den letzten 20 Jahren dazu beigetragen, das Ziel der Abschreckung voranzutreiben, und welche Praktiken sind es wert, weiter erforscht zu werden?
- Welche Ziele sind heute von zentraler Bedeutung, insbesondere der Schutz der Rechte von Zeug:innen und Opfern? Wie werden diese mit den Rechten der Verteidigung abgewogen? Was bedeuten Freisprüche für die Fairness der ursprünglichen Verfahren und wie können diese verbessert werden?
- Welches Ziel sollte mit der Öffentlichkeitsarbeit verfolgt werden: Rechenschaftspflicht, die Bedürfnisse von Gemeinschaften und Opfern, die Festnahme von Verdächtigen und andere Formen der Zusammenarbeit, der Aufbau von Kapazitäten zum Verständnis des IStGH und des Völkerstrafrechts oder möglicherweise ein breiterer Fokus einschließlich Abschreckung oder Prävention? Wie kann gezielter auf die Menschen zugegangen werden?
- Wie sieht die Vision des Gerichtshofs für das Jahr 2042 aus?
Bei der Beantwortung einer Reihe zusammenhängender Fragen für jedes Panel reflektierten die Expert:innen über die Errungenschaften des IStGH, aber auch über seine Versäumnisse, einschließlich der Betrachtung der Ergebnisse des IER für 2020.
Ziel der Konferenz war es, dem IStGH und seiner Gemeinschaft eine Orientierung zu geben, wie die Institution effektiver und besser auf die Ziele der Präambel des Römischen Statuts abgestimmt werden kann, und die Netzwerke zu erneuern, die dazu beigetragen haben, das einst scheinbar unmögliche Ziel der Gründung des IStGH überhaupt zu erreichen.
Die Diskussion machte erneut deutlich, dass die Rechtsprechung komplex bleibt. Die Akademie ermutigt alle Beteiligten, die Zusammenarbeit und den Dialog auf der Suche nach innovativen und proaktiven Veränderungen, die das System der internationalen Strafgerichtsbarkeit für die Zukunft stärken, weiter zu fördern.
Die Akademie hat die Videoaufzeichnungen der Konferenz in ihrem YouTube-Kanal veröffentlicht und wird einen Konferenzbericht erstellen. Das Programm steht weiterhin zum Download zur Verfügung.
Das Nuremberg Forum 2023 findet im Oktober 2023 statt und wird sich mit dem Thema Leugnung beschäftigen.