Nürnberger Erklärung zum Verbrechen der Aggression

 

Am 8. Mai 2023 veröffentlichte die Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien die „Nürnberger Erklärung zum Verbrechen der Aggression“.

Im Jahr 1945 wurde das Verbrechen der Aggression zum ersten Mal in der Geschichte vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg angeklagt. Damals wurde versprochen, Aggression zu kriminalisieren, um künftige Kriege zu verhindern. Robert H. Jackson, der US-amerikanische Chefankläger, betonte in seiner Eröffnungsrede in Nürnberg: "...der letzte Schritt zur Vermeidung wiederkehrender Kriege, die in einem System der internationalen Gesetzlosigkeit unvermeidlich sind, besteht darin, die Staatsmänner dem Gesetz gegenüber verantwortlich zu machen".

"Die Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien ruft zur Wahrung der internationalen Rechtsordnung auf und drängt auf die Einhaltung des Nürnberger Versprechens von 1945/46", sagt Akademiedirektor Professor Christoph Safferling. Sie habe daher das Verbrechen der Aggression in der Ukraine auf die Tagesordnung gesetzt und internationale Expert:innen einberufen, um Wege zur Erfüllung des Nürnberger Versprechens zu diskutieren. Direktor Safferling: "Nach der Konsultation der Expert:innenen fordert die Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien in ihrer Nürnberger Erklärung zum Verbrechen der Aggression die Umsetzung der Nürnberger Prinzipien überall und zu jeder Zeit und insbesondere jetzt im Hinblick auf die Ukraine."

 

Nürnberger Erklärung zum Verbrechen der Aggression

Nürnberg, 8. Mai 2023

eingedenk der Tatsache, dass Verbrechen gegen den Frieden eine der drei Kategorien internationaler Verbrechen gemäß Artikel 6 der Charta von Nürnberg vom 8. August 1945 waren,

eingedenk der Überzeugung der alliierten Mächte einschließlich der damaligen Sowjetunion, dass ein Angriffskrieg ein internationales Verbrechen ist,

eingedenk der Feststellung des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg, dass die Führung eines Angriffskrieges das schwerste internationale Verbrechen darstellt,

eingedenk der Grundsätze des Völkerrechts, die in der Charta von Nürnberg und im Urteil des Nürnberger Gerichtshofs anerkannt (die Nürnberger Prinzipien) und von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 11. Dezember 1946 bestätigt wurden,

insbesondere eingedenk des Nürnberger Prinzips VI (a), wonach Verbrechen gegen den Frieden völkerrechtliche Verbrechen sind, insbesondere (i) Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Angriffskriegs oder eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge, Abkommen oder Zusicherungen; (ii) Beteiligung an einem gemeinsamen Plan oder an einer Verschwörung zur Ausführung einer der unter Ziffer (i) genannten Handlungen.

ferner hinweisend auf die individuelle strafrechtliche Verantwortung für die Verbrechen nach dem Völkerrecht gemäß den Nürnberger Prinzipien I und III: "Die Tatsache, dass eine Person eine nach dem Völkerrecht als Verbrechen geltende Handlung als Staatsoberhaupt oder staatlicher Verantwortungsträger begangen hat, befreit diese Person nicht von ihrer Verantwortlichkeit nach dem Völkerrecht",

eingedenk der Definition der Aggression, die mit der Resolution 3314 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 14. Dezember 1974 im Konsens angenommen wurde, insbesondere des Artikels 5 Absatz 2 der Definition der Aggression im Anhang der Resolution 3314, in dem es heißt: "Ein Angriffskrieg ist ein Verbrechen gegen den Weltfrieden",

darauf hinweisend, dass sich alle Mitglieder der Vereinten Nationen Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates oder in jeder anderen Weise, die mit den Zielen der Vereinten Nationen gemäß Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta unvereinbar ist, unterlassen sollen,

eingedenk der Tatsache, dass Aggression die schwerste Verletzung des Gewaltverbots darstellt,

eingedenk der Tatsache, dass die Völkerrechtskommission das Verbot der Aggression zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts erklärt hat (Entwurf von Schlussfolgerungen, 2022 A/77/10, Abs. 43, Schlussfolgerungen 23),

eingedenk des entsetzlichen Leidens von Kämpfer:innen und Zivilisten, das durch einen Angriffskrieg verursacht wird,

eingedenk der Allgemeinen Bemerkung 36 (2018) des UN-Menschenrechtsausschusses, in der festgehalten wird, dass Angriffshandlungen, die zum Entzug des Lebens führen, "ipso facto gegen Artikel 6" des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte verstoßen,

eingedenk der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen über die Aggression gegen die Ukraine ES 11/1 (2022), in der das Vorgehen Russlands als Akt der Aggression bezeichnet wird,

entsetzt über den andauernden Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine und über die Beteiligung von Belarus an diesem Angriffskrieg,

eingedenk der einvernehmlichen Definition des Verbrechens der Aggression in Artikel 8bis des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs,

eingedenk der derzeitigen deutlichen Einschränkungen des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs in Bezug auf die Verfolgung des Verbrechens der Aggression,

unter Hinweis auf das Mandat der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien, insbesondere im Bewusstsein des historischen Erbes der Nürnberger Prozesse, nachhaltigen Frieden durch Gerechtigkeit zu fördern,

hat die Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien am 8. Mai 2023 nach eingehender Beratung über diese Fragen mit führenden Völkerrechtsexpert:innen im historischen Nürnberger Justizpalast

bekräftigt, dass das Verbrechen der Aggression ein Verbrechen nach dem Völkerrecht ist,

betont, dass dieses Verbrechen eine individuelle strafrechtliche Verantwortung nach sich zieht,

die internationale Gemeinschaft aufgefordert, die Strafverfolgung von Verbrechen der Aggression sicherzustellen,

die internationale Gemeinschaft aufgefordert, die Einrichtung eines Strafgerichtshofs zu unterstützen, das die im Hoheitsgebiet der Ukraine begangenen Verbrechen der Aggression im Sinne des Völkerrechts verfolgt,

die Vertragsstaaten des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs aufgefordert, die Bestimmungen über die Zuständigkeit für das Verbrechen der Aggression zu ändern, um sie an die Bestimmungen für die anderen Verbrechen anzugleichen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen.